4. 1991, Dr. Roland R. Richter

PERSONA NON GRATArrichter
Dr. Roland R. Richter, Gedanken eines Studien- und Malerfreundes zur Leipziger Werkschau von SIEGHARD POHL

Über die bewegte Vita des Sieghard Pohl als regimekritischer Geist weiß man inzwischen aus allerlei Medien so viel, daß hier darüber nicht explizit gehandelt werden muß. Auch hat er es nicht nötig, hier von mir eine weitere Würdigung als Künstler zu erfahren. Kunsthistoriker wie Günter Feist, Rolf Otto Karnahl, Henry Schumann u. a. haben dies längst besorgt, und ich müßte nur wiederholen, was andere, berufener als ich und mit gewissem Anspruch auf Objektivität, schon dazu gesagt haben. (Etwa in den stilkritischen Überlegungen Karnahls zu S. P. als früher Protagonist der „Leipziger Schule“).

Nein, die heute zu eröffnende Werkausstellung Sieghard Pohls ist für mich vielmehr Anlaß, etwas zur Person zu sagen, aus ganz persönlicher Sicht, und der unvermeidliche Blick zurück auf den gemeinsamen Anfang wird nicht frei sein von nostalgischer Verklärung. Dabei ist von Belang, daran zu erinnern, „daß die DDR“ – ich zitiere aus „Kunstkombinat DDR“ von G. Feist und E. Gillen – „praktisch mit der Stunde ihrer Gründung von außen her ein Kunstmodell übergestülpt bekam, das ihren eigenen Bedingungen und traditionell reichen Möglichkeiten in wesentlichen Teilen widersprach. Nach wenigen Jahren einer relativ autochthonen Entwicklung, d. h. schon ab 1948, verstärkt aber seit 1951, sah sich die Künstlerschaft in der DDR äußerst autoritären Forderungen gegenüber. Zu jener Zeit, Ausgangspunkt für vieles Spätere, sollte sie alle Beziehungen zur Kunst des 2O. Jahrhunderts, … eingeschlossen selbst die Traditionslinie der proletarisch-revolutionären Kunst, abbrechen und stilistisch etwa bei Repin oder dem späten Menzel neu anfangen„.

Genau dies war die Zeit unseres gemeinsamen Studiums am damaligen Institut für Kunsterziehung der Universität Leipzig, einem Institut, das unter Leitung seines Gründers Hans Schulze (Schüler von Alexander Kanoldt, Oskar Moll und Otto Müller und zudem – wie Pohl – von Breslau herkommend) für die damaligen Verhältnisse ungewöhnlichen Freiraum der künstlerischen Lehre bot. Auch Elisabeth Voigt, bei Carl Hofer ausgebildet und Meisterschülerin der Käthe Kollwitz, hatte hier ihren hoch geachteten Platz, ganz im Gegensatz zu den Anfeindungen, denen sie an der von Magritz und Massloff dominierten Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst ausgesetzt war.

In solch vergleichsweise liberalem Klima und gewissermaßen innerhalb jener Enklave gelang es, wenigstens die schlimmsten dogmatischen Verabsolutierungen und Borniertheiten zu kompensieren, die sich gerade für die Kunst, und auch sonst als so verhängnisvoll erweisen sollten. Aber Pohl wäre nicht Pohl gewesen, wenn er nicht schon damals – selbst in jenem „Kunstghetto“ – für Irritationen und Aufsehen gesorgt hätte. Eine grüne Wasserleiche, ein sich krümmender Clochard, die Inszenierung einer Notschlachtung … alles shocking in der für unsere Begriffe heilen l`art pour l`art-welt. Immer, so jedenfalls schien es, war es das Absonderliche, Abstruse, Skurril-Komische, das ihn auf unwiderstehliche Weise geradezu magisch anzog.
Wer ihn näher kannte, der ahnte, nein der wußte, daß dies alles nicht bloße Sensationslüsternheit war, sondern vielmehr mit seinem ausgeprägten Spürsinn für sozialen Mißstand jeder Art, für Ungerechtigkeit zumal zu tun hatte. Und mit der offensiven drastisch-sarkastischen Art, mit der er die zumeist verschwiegenen, weil unbequemen Wahrheiten schon damals unverblümt beim Namen zu nennen pflegte, machte er später, als der Schutzraum des Kunstinstituts verlassen war, bald mehr auf sich aufmerksam, als ihm lieb sein konnte. In seinem Horror vor jeglicher duckmäuserischer Angepaßtheit, devoter Kriecherei und Heuchelei konnte er es – mitunter zum Leidwesen seiner engsten und nicht selten ängstlichen Freunde – kaum lassen, recht lauthals wider den Stachel zu löcken. Noch heute höre ich mich besorgt zu M. rufen: Mach doch das Fenster zu, der Pohl kommt!

Aber: ein „Hetzer“– so die infame Unterstellung der Anklageschrift des 1.Strafsenats vom Leipziger Bezirksgericht im Sommer 1964 mit der man ihn „Im Namen des Volkes“(!) zu zwei Jahren Freiheitsentzug verurteilte – ein Hetzer, das war er gewiß nicht. All seine, wenn auch vor Temperament sprühenden und mit Engagement vorgebrachten Plädoyers für Menschenrecht und –würde gründeten in aller Regel auf analytischem Verstand und schlossen nie das sachliche Argument aus.

Das gilt auch für seine Bilder, wenngleich eine schier überbordende kafkaeske Phantasie die zugrunde liegenden Sachverhalte und Wahrheiten höchst verfremdet und zugleich zugespitzt scharf wie schonungslos zu erkennen gab. Gefälligkeit und Glätte war seine Sache nicht. Und so ists geblieben: Kunst als Refugium, gar Autonomie der Moderne im Verständnis Adornos, das sind Haltungen, mit denen er nie etwas anzufangen wußte. Irgendwie schien ihn wohl immer die alte Illusion zu beflügeln, man könne auch mit Kunst, wie schon die Kollwitz hoffte, ein Gutteil notwendiger Aufklärung leisten, wo doch die Menschen – wie einst Brecht resignierend vermerkte – aus „Katastrophen ebensowenig lernen wie die Versuchskarnickel über die Biologie“ (zitiert nach Hans Mohr: Über die Bedeutung der Naturwissenschaften für die Kultur unserer Zeit. In: Nova acta Leopoldina, Nr.2O9 Bd.37/2, Halle 1971,S.14).

So was konnte gar nicht gut gehen. Ein notorischer Unruhestifter wie Pohl hatte keine Chance.“ … es (ließ) sich nichts verbergen, in unsrem Land (war) Ordnung groß wie bei den sieben Zwergen“, sang Wolf Biermann, und als die Mauer schließlich stand, schlugen die Häscher zu, zum ersten Mal, der Aufmüpfige saß in der Falle. Nach überstandener Verwahrzeit folgte das Berufsverbot als Kunsterzieher mit reichlich Zeit, das in jener „Menschenveredlungsanstalt“ Erlebte, besser gesagt Durchlittene, geistig zu verarbeiten, in provokanten Bildern, versteht sich, Bilder, die an Schärfe und bitterer Ironie weiß Gott nichts zu wünschen lassen und die in ihrer zuweilen prononcierten Antiästhetik bis an die Schmerzgrenze gehen. Der Straftatbestand der Hetze war im übrigen für das hohe Gericht allein damit erfüllt, daß der Angeklagte diese „Machwerke“ in seiner Wohnung „verbreitet“, will heißen für jeden sichtbar aufgehängt hatte, und es bedurfte nur eines schäbigen Denunzianten, um ihn dieses „Staatsverbrechens“ zu überführen und wie einen gewöhnlichen Kriminellen erneut für Jahre hinter Gitter zu bringen. Später dann hat man ihn – wie man inzwischen weiß – für Apfelsinen verkauft und abgeschoben.

Die lange Zwangspause in unseren freundschaftlichen Beziehungen hat uns dennoch nicht entfremdet. Aus dem einstigen Ossi wurde kein Wessi, sondern – wie er selbst findet – ein Wossi, und ein verständnisvoller dazu. Er will – Utopist, der er insgeheim wohl noch immer ist – helfen, die Mauern in den Köpfen zu überwinden, auch wenn dies nicht eben leichter zu werden verspricht als ehedem das verzweifelte Anrennen gegen die Betonkopfriege des alten Apparates. Und daß er – angesichts seiner eigenen bitteren Erfahrung als persona non grata – dies bar jeder Rache – und Haßgefühls gegen die einstigen Peiniger tut, nötigt Bewunderung ab. Respekt, Sieghard und Glückwunsch zu dieser Ausstellung!

Roland R. Richter Leipzig am 5. Oktober 1991