Ein linientreuer Ofen

Ein Linientreuer Ofen

Zuerst möchte ich den Ofen beschreiben. Ich habe ihn selbst gesehen. Doch alles, was mit ihm und durch ihn geschah, wurde mir zugetragen. Dieser Ofen sah wirklich abstrus aus. Seine äußere Form, seine technische Beschaffenheit wirkten so faszinierend auf mich, daß es mir förmlich in den Fingern juckte, ihn zu zeichnen. Später fertigte ich sogar eine Radierung von diesem eisernen Ungetüm an. Einer, der ihn auch sah, sprach treffend von einem vorindustriellen Monstrum.
Sein Rauchfang, über und über mit Nieten versehen, sah aus wie ein überdimensionierter, alter, verbeulter Eisentrichter, der noch die ganz hübsche Höhe von fast vier Metern erreichte. Sein zylindrischer Unterbau, auf dem der Schornstein aufgesteckt war, war aus alten Blechen zusammengenietet. In diesem unteren Teil hatte man dann eine Feuerungsöffnung eingeschnitten, in die ein Feuerrost aus groben Eisenstäben eingelassen war. Dieses gefräßig wirkende Feuerloch konnte mit einer halbrunden Tür, ebenfalls aus gerostetem Blech gefertigt, mehr schlecht als recht verschlossen werden.
Wenn der Ofen mit Brennstoffen gefüttert wurde, glühten die Scharniere und Befestigungshaken der Tür so heftig, daß der, der sie bedienen mußte, sich manche Brandblase an seinen Fingern zuzog. Außerdem entwickelte dieser Eisenzylinder bei einer bestimmten Temperatur einen solch ungewöhnlich starken Luftzug, daß das Gerät in ein heftiges Schütteln verfiel, ohne jedoch, wie man befürchten konnte, umzustürzen. Der eigenwillige Konstrukteur hatte auch daran gedacht, dieses zu verhindern, indem er dem Trichterzylinder drei nach außen gebogene Eisenstelzen anschraubte. Sie sahen wie Entenbeine mit übergroßen Schwimmflossen aus. Aber das Nonplusultra dieser ofenartigen Erfindung war eine Vielzahl sinnlos abgeknickter und abgewinkelter Zuführungsrohre aus Blech mit primitiven Reinigungsklappen, die in den Zylinderkörper eindrangen und ihn an einigen Stellen sogar, gut abgedichtet, durchdrangen.
Mir kam diese Anlage wie eine Eisenspinne auf Entenbeinen vor. Manches erschien mir wie ohne Verstand und geradezu gegen alle Feuerungstechnik gebastelt. Doch dieser Apparat, einmal mit Feuer angeworfen, war ein erfolgreicher Verbrenner. Das Ganze stand, fast als eine Art Tarnung, in einem aus roh behauenen Feldsteinen gemauerten Turm, der oben ohne eine Bedachung auskom- men mußte. Stand dieses Ding erst einmal unter Feuer — auch das habe ich gesehen — stoben Funken und Aschenreste wie glühende Leuchtkäfer in den Nachthimmel.
Wie schon beschrieben, konnte er ungeheure Windwirbel erzeugen, so daß manchmal halbverbranntes Material herausgeschleudert wurde. Er war ein kolossaler Allesfresser. Doch eine Frage blieb für mich offen: Wozu war er nütze, außer daß er jeglichen einigermaßen brennbaren Feststoff zu Asche verwandelte? Einen anderen Nutzen konnte ich nicht erkennen. Die entwickelte Wärme konnte nicht eingefangen noch anders verwertet werden — es sei denn, man wollte die Außenluft heizen — das war aber schlicht sinnlos. Als Beleuchtungsquelle? Auch das war Unfug.
Wer ihn gebaut, vielleicht über das Jahrhundert gerettet und gewartet hatte, war ein Liebhaber sinnloser — so meine ich — herrlicher Antiquitäten. Das Monstrum hatte Sammlerwert.
Ja, und dann, vor einigen Jahren, als es mir noch möglich war, das Land zu besuchen, wo dieser Ofen stand, erfuhr ich von einer Begebenheit, die diesem Eisenkaventsmann wirklich zur Ehre, oder auch nicht, gereichte. (Das ist eine Frage des politischen Standpunktes.) Leider war das Ergebnis, das dieser Ofen lieferte, für den damaligen Besitzer und Betreiber von existentieller Bedeutung. Denn dieses spinnenartige Feuerungsgerät hatte keinerlei Gespür für aufziehende Gefahren — es bewies Treue, ließ beim Befeuern niemanden im Stich — doch leider war es dumm (wenn man das so sagen darf), ohne jeglichen forensischen Sinn.
Es trug sich folgendes zu: Wer in einem solchen Lande leben muß wie Herr Z., muß manchmal auf seinen Adern stehen, um sein heißes Blut zu dämmen. Heißes Blut war bei Z. eine Seltenheit. Z. war obrigkeitsgewohnt, führte selbstlos Befehle aus, war dienerisch, vorteilheischend, arbeitsam, unpolitisch im höheren wie auch tieferen Sinne, konsumfreudig, ängstlich, gehorsam — einfach ein guter Bürger, dem selten genug der Kamm schwoll, wenn er sich zu ungerecht behandelt fühlte. Wenn er, rar genug, Aufsässiges brabbelte, dann geschah das stets hinter vorgehaltener Hand. So war halt der Herr Z. Er ging jeden Tag zur Arbeit, ein Eisenbahner, der sein Häuschen und seinen Garten pflegte. Das verdiente Geld zahlte er seiner Frau auf den Tisch. Einzige Extravaganzen waren sein Skatverein und, in Maßen, ein wenig Alkohol.
An jenem Tag brach Ärger in ihm auf, simpler »Betriebsärger«, den er seinem staatstragenden Vorgesetzten zuschob. Dieser hatte ihn ex cathedra wie einen Jämmerling abgekanzelt. Mit angestautem Unwillen trottete er später ins traute Heim. Dort ließ er seinen Ärger zu einer staatsverleumderischen Tat ausgären, zu der er eigentlich gar nicht fähig war.
Die Wut seiner Seele wuchs über den Eichstrich der Selbstbeherrschung, und in seiner Verzweiflung setzte er sich an seine Schreibmaschine, wechselte die Matrizenwalze ein und hämmerte ein Pamphlet in die Tasten. Frau Z., durch sein Verhalten verunsichert, schaute ihm über die Schultern, las, nickte ungläubig und wurde so Mitwisserin! Nichts Intellektuelles wurde da verfaßt, nur eine handfeste Staatsverleumdung — so wird man es später bei den Organen bewerten!
Inzwischen schickte Z. seine Frau in den Konsum, um allerlei Arten Schreibpapier aufzutreiben. Nach einigem Suchen in mehreren Geschäften war sie erfolgreich.
Herr Z. machte im Keller ein altes Matrizenabzugsgerät, das er eigentlich gar nicht mehr besitzen durfte, gangbar. Es gelang ihm nach einigen Stunden, alte Farbreste wieder flüssig zu machen, die dreckverkrustete Maschine zu reinigen. Dann nudelte das Ehepaar tausende DIN-A 4-Blätter über die Matrize. Ab und zu mußten Pannen behoben werden. Der Morgen dämmerte, die Arbeit war getan. Die so entstandenen selbstgefertigten Flugblätter, so meinte er, seien Meisterwerke der Konspiration geworden, die er »lustvoll« unter die Leute seiner Kleinstadt bringen wolle. Mutig wolle er schon sein. Die Frau wird helfen! Die richtige Zeit, alle Zettel zu verbreiten, wird die Nacht sein, dann will man sie austragen, klammheimlich.
Z. ist voller Gedanken, schläft dabei über seinem Vervielfältigungsapparat ein, Frau Z. verfügte sich schon vorher ins verwaiste Ehebett. Doch die Zeit, die über der »illegalen« Tätigkeit ablief, ließ seinen schwelenden Groll, die Wut des heimlichen Aufrührers ab- flauen. Am Schluß blieb ihm der nutzlose verrauchte Ärger, geronnen in wütend beschriebenem Papier, das zu verteilen er nicht mehr den Mut hatte. Flugblätter mit vielen Eselsohren!
Z. durchträumt noch einmal alles, Phantasmagorien bestärken ihn. Z. wird Angst kriegen! Er ist wieder ein unmündiger Staatsbürger geworden, der erschrocken über seine zeitweilige Courage im Schlaf dahinmeditiert, als er in Angstschweiß gebadet aufwacht. Z. hat sich entschieden! Beide Z.s beschließen, das inkriminierende Zettelmaterial zu verbrennen, spurlos zu beseitigen, ehe die »Sicherheit« ihm und seiner Frau auf die Schliche kommt. Das hätte die allbekannten Folgen — das wissen sie, davon haben sie gehört. Das behende Äffchen Furcht klettert angstvoll in ihrer Brust.
Z. denkt an den ererbten Ofen im Steinturm. Jetzt weiß er, daß er tätig werden muß. Nicht erst die Nacht abwartend, schleppt er die nun nutzlos gewordenen Bündel zu Papier gebrachter verbaler Wut. Aus! — Der Reisighaufen wird auf dem Weg zum »Allesfresser« gefleddert, das trockene Geäst unterfüttert mit geknülltem Zeitungspapier, mit Spiritus benetzt und in Eile gezündet mit explosivem Knall.
Z. macht Feuer — lichterloh! Wenn der starke Feuerwind durch die Trichteresse zieht, dann ist’s Zeit, das umfangreiche Corpus delicti draufzugeben. Er tut’s, Frau Z. hilft dabei.
Die dünnen Flugblätter tanzen im Eisenzylinder auf und ab, doch der dumme, zu hastig gefütterte Feuerschlot wird sich daran verschlucken, er mag diese ihm zugeführte Konterbande nicht verdauen. So geschieht es ganz plötzlich, daß er sie auskotzen muß — nur weniges fängt Feuer, und die Papiere werden hoch in den Himmel gerissen. Fünfzig bis sechzig Meter hoch, höher als man hier Häuser baut.
Vom Winde verweht, dadurch gut verteilt, manches angesengt, doch gut lesbar, regnet es große Papierflocken auf den Marktplatz, fast in die Fenster der Behörden. Über dem verhängnisvollen Dauerschlot sieht man, wo sie herkommen. Z. ist so unglücklich — so unglücklich. Ach armer Herr Z., ach arme Frau Z.!
Den aktiven und passiven Lesern wird der Inhalt ruchbar. Inzwischen — die Herren der Sicherheit holen ihre Holster aus den Spinden, ziehen darüber ihre privaten Joppen und setzen sich in Marsch. Die Milizen und andere, rasch alarmierte »untere Organe« scheinen von einem Reinigungsfimmel befallen. In gebeugter Haltung frönen sie dem Papiersammeltrieb. Passanten, die da etwa le-
send angetroffen werden, haben ihre Lektüre zu beenden — sanft wird man sie dazu auffordern. Sogar die Hinterhöfe und Dächer werden von Sammlern mißtrauisch beäugt. Man will nicht erst auf mögliche Windstöße warten. Sie sammeln schnell! Selbstverständlich wird das Sammelgut peinlichst genau registriert, soll doch nicht unbefugt in irgendwelchen Taschen verschwinden. Bald ist die Stadt wieder reinlich wie eh und je. Zumal der alte Ofen inzwischen seine ungewollte Produktion eingestellt hat.
Bei meinem letzten noch möglichen Besuch erfuhr ich einige mich nachdenklich machende Details über diesen Ofen. Die Staatsorgane, einschließlich der sehr wichtigen Abteilung »Sicherheit«, erklärten das alte »Ofenmonstrum« zum industriellen Denkmal von nationaler Bedeutung. Obgleich eigentlich zu nichts mehr nütze, einem alten Renngaul vergleichbar, der sein Gnadenbrot erhält, wurde besagtes Monument sorgfältig restauriert und dem Tourismus preisgegeben.
Ströme von Bussen setzen seitdem dort jährlich Ströme von Begaffern aus. Ein amtlich bestallter Erklärer spricht dort viele technischen Daten aus, und wenn er ihn mit den liebevollen Worten »Staatsfreundlicher Ofen« lobt, so bekommt seine Stimme ein sanftes Tremolo verinnerlichter Rührung. Mystisches senkt sich in die Herzen der Neugierigen ob solch »menschlicher« Hinweise, doch die wirkliche Geschichte erfahren sie bis heute nicht.
Ich hörte, daß man bald eine Bronzetafel anschrauben will. Der Ofen, so glaube ich, ist nun wirklich in guten Händen.