Der Urköter

Der Urköter

Ein vierbeiniger bellender Fellträger hatte soeben seinen Unterleib unanständig gekrümmt, seine Hinterläufe mäßig abgesenkt und unter heftigen Konvulsionen damit begonnen, seinen stinkenden Darmabfall abzulegen. Bei leicht gesträubtem Fell, bissigen Blicken beäugte er mich mißtrauisch, den hilflosen Aussteiger, der grade sein Auto verlassen hatte, der sich nun anmaßte, in Hundsnähe den Gehweg zu überqueren.
Die lebendige Wegsperre begann sogleich heftig zu knurren, behauptete so seinen Platz und zwang mich und anderes Passantenvolk, im Bogen weite Umwege vorzunehmen, um den möglichen Wadenbeißer angemessen passieren zu können. Den nun in Gehwegmitte gut platzierten Haufen werden später in der Dunkelheit arglose Fußgänger betreten. Sie werden ausrutschen, um Gleichgewicht ringend, bald die Hundeablage ausreichend verteilen. Immer wieder wird man Damen und Herren aller Altersklassen am Rinnstein seltsame Bewegungen ausführen sehen. Je nach körperlicher Beschaffenheit wird ihre Behendigkeit von Erfolg gekrönt sein, den klebenden Fäkalstoff von den Schuhsohlen zu entfernen. Wehe den Autofahrern, die von ihrem Fehltritt nichts bemerkt haben, in den Fond steigen und mit dem unverkennbaren Duft behaftet sind! Ist der Unglückliche selbst der Fahrer, wird die Verteilung der Angelegenheit weiter fortschreiten. Die Gummirillen an den Fußhebeln sind dankbare Abnehmer. Die Hilflosigkeit der betroffenen Personen wird unermeßlich sein, denn in schwierigen Verkehrssituationen kann man vom Bremspedal abgleiten und nicht vorhergesehene Blechschäden verursachen.
Es werden Kosten entstehen!
Solch Betroffenen wird es künftig schwerfallen, noch von einem »Hunde« zu sprechen. Darum ist auch für mich der Gattungsbegriff dieser domestizierten Tierart auf das Wort »Köter« verkommen.
zum Unwesen dieser Tiere aller Größen gehört auch ihr »neurotischer« Trieb, jederfrau und jedermann anbellen zu müssen, ihre I riefenden Schnüffelnasen in frisch gewaschene Hosen oder Röcke 1 Inbeteiligter zu stoßen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sie einem bis zum Gesicht springen, um feuchte Knutschflecke zu hinterlassen. Die Verunsicherung bei solchen Menschen ist sehr groß, da die Betroffenen niemals genau wissen, wann die fletschenden Fangzähne zupacken könnten. So bleibt einem nur die Möglichkeit, in eine Arl Schreckstarre zu verfallen und alles zu erdulden, selbst wenn die dreckigen Straßenpfoten, abhandengekommener Lefzengeifer zusätzliche Spuren auf Hemd, Blusen oder Hosen hinterlassen.
Die allermeisten »Köterhalter« übertragen ihre Neurosen auf ihre »Beller«!
Ist das geliebte Frauchen oder Herrchen einmal zeitlich verhindert, Streicheleinheiten und Schmusezuwendungen auszuteilen, heulen die Tiere erbärmlich in den Vorgärten oder in den abgeschlossenen Wohnungen.
Hs gibt noch viel Unerträgliches von diesen Chappifressern zu berichten, doch ich will damit aufhören und hoffe auf ein allgemeines Verständnis, daß ich »Köter« einfach nicht mag!
Diese Ablehnung wird noch durch einige Ereignisse verschärft, in der meine Frau eine wichtige Rolle spielt.
Ich mag meine Frau sehr, darum habe ich mir bei ihr die Erlaubnis geholt, sie zu heiraten. Viel später mußte ich erfahren, daß Edda von »Kötern« geliebt wird!
Da diese Tiere nur .über ein zeitlich begrenztes Leben verfügen, das zudem noch um etliches kürzer ist als ein Menschendasein, muß ein mir bisher unerklärlicher besonderer Umstand wirken, daß immer wieder eine Spezies von Kötern auftreten, die meiner Frau nachstellen. Ich will damit sagen, daß mit dem Ableben eines dieser liebestollen Tiere nach einiger Zeit ein anderes heranwächst, um m den gleichen Spuren seines Vorgängers zu wandeln, immer programmiert, hinter Edda herzustreunen. Dieser neue Köter ist nie leicht zu identifizieren, ist immer von anderer Art, Größe, Rasse, edel oder von der Promenade. Soll es etwa so eine Art »Urköter« geben, der Fell und Aussehen verändert? Und es sind immer männliche Tiere! Das gibt einem doch zu denken!
Zur selbigen Stunde, da meine Frau geboren wurde, hatte auch eine Hundedame, die im Garten des elterlichen Anwesens hauste, einen sinnlichen Wurf zustande gebracht. Der einzige Rüde aus dieser Jungsippe schloß bald innigste Freundschaft mit der Babydame Edda.
Sie wuchsen unzertrennlich heran. Das Jungtier, ein Schäferköter, ein Mischling mit Schlappohren, wurde bald Eddas Vorbild. Die Mutier erzählte mir, daß das Kind es später ablehnte, Gehversuche zu unternehmen — eigentlich ein endogener Reifungsprozeß —, sondern recht hurtig nach Hundeart sich auf allen Vieren fortbewegte. Jegliche Sprechhilfen der Mutter und Großmutter wurden ignoriert, nur dem Köter wurde aufs Maul geschaut. Bald gelang es Edda, gegen alle menschliche Sprachbeschaffenheit zu verstoßen und anhörbare Hundelaute von sich zu geben. Ihre Ausdruckspalette wurde zunehmend reichhaltiger, vom Quietschen zum Kläffen, vom Knurren bis hin zum Jaulen!
Das seltsame Päärchen hat bald keine Verständigungsschwierigkeiten mehr untereinander. Auch die Freßgewohnheiten des Jungköters wurden von ihr angenommen. So konnte man sie gemeinsam aus dem Hundefreßnapf naschen sehen.
Der Inhalt dieses Behältnisses war immer wohlgefüllt, nur der Geschmack der Köterspeisen ließ zu wünschen übrig, ließ keine menschliche Geschmacksknospen erblühen!
Edda weigerte sich konstant, vom Kindertischchen aus Kindernahrung zu essen. Bald versagte die kleine Tochter jede außerhündische Nahrungsaufnahme. Der Mutter blieb schließlich nichts anderes übrig, als edel zubereitete Nahrung in den Napf zu servieren, um so Eddas Körpergewicht zu stabilisieren, ihrem Geschmack aufzuhelfen. Außerdem kam die kleine Tochter mit den Knochen nie zurecht wegen der wackligen Milchzähne.
Der Jungrüde übernahm bald wichtige Schutzfunktionen. Niemand durfte Edda am Freßnapf stören, noch mit ihr schimpfen. Ein kurzes heftiges Knurren verhinderte jegliche Handgreiflichkeiten. Alle Versuche, dieses eigenartige Paar zu trennen, endete kläglich. Denn dann jaulten Edda und der Hund dermaßen herzzerreißend, daß kein anderer Ausweg blieb, als sie wieder zusammen- zuführen.
Wer weiß, wie sich diese Jugendfreundschaft noch entwickelt hätte, wenn nicht ein großer, dicker, schwarzer Reifen eines Lastwagens dem Jungköter das Leben aus dem Leib gedrückt hätte. Diese Selbstaufopferung geschah, um Edda beim unüberlegten Betreten einer Straße zu hindern.
Die kindliche Seele blieb durch den schrecklichen Anblick über einen längeren Zeitraum beschädigt. Mutter und Vater gaben sich alle erdenkliche Mühen, ihre Tochter aus dem hündischen ins Menschendasein zurückzuführen. Als erstes erhielt sie Hundeverbot. Das erwies sich als heilsam, denn mit der Zeit erlernte sie alle wichtigen Kulturtechniken, die ein heutiger junger Mensch beherrschen muß. Edda wuchs zu einer hübschen jungen Dame aus. (Das Bellen, Quietschen, Knurren und Jaulen beherrscht sie noch heute; Hißt solche Laute nur sehr selten hören!)
Alles wäre vergessen, nur eine Jugendepisode geblieben, wenn nicht ab und an ein neuer liebestoller »Urköter« auftauchen würde. Vor einigen Jahren war es wieder mal soweit, da erschien er in der Maske einer schwarzen, mächtigen Dogge, die den Titel eines DDR-Meisters führte. Wir besuchten einen Freund, der in einem ruinösen Prämonstratenserkloster wohnte. Dieser Mann, ein Bildhauer und Köterfetischist, hielt sich jene Dogge in Kalbsgröße auch aus beruflichen Gründen. Das schwarze Tier wurde zeitweise wohlweislich in einem kahlen Raum verwahrt, um eventuelle Vorfälle auszuschließen.
An verschiedenen Standorten im verwachsenen Klostergarten lugten allerlei Steindoggen und anderes Bronce- und Holzgetier aus Blattwerk und über hochgewachsene Gräser. Das gab dem Besucher die notwendige Einstimmung.
Nachdem wir uns bei der Begrüßung genug abgehalst hatten, den Kaffee schlürften, wurde später der Atelierbesuch fortgesetzt. In der romantischen Wildnis kerkerähnlicher Gänge im Kloster gab es manche Tür zu öffnen, um die Neugier zu befriedigen. Wohl einem geheimen Trieb folgend, öffnete meine Frau jene Tür, hinter der das schwarze Getier hauste. Unser Doggendompteur, der Bildhauer, war etwas zurückgeblieben und für nötige Erste Hilfe etwas abseits. Kaum, daß die arglose Edda den Raum betreten hatte, wurde sie von der Superdogge freudig angesprungen.
Vom kalbsgroßen Tiere um einiges überragt, legte dieses seine kräftigen Vorderpfoten auf Eddas Schultern und stieß sie in die horizontale Lage. Beim Sturze rissen gewisse Nähte ihrer engen Hose ein Fluch der damaligen Mode. Das alles konnte ich durch den Türspalt beobachten, ohne allerdings vorerst hilfreich werden zu können. Erschrocken bemerkte ich den geilen Blick der rot unterlaufenen Augen der gewaltigen Dogge, die noch einen blutigen Knochen im Maule trug. Am Ende ergab sich kurzfristig folgendes Mild: Das schwarze Tier stand mit den Beinen über der hingestürzten Edda, ließ sogleich den Knochen auf ihre Brust fallen und begann sie wie ein wildgewordener Liebhaber abzuschlecken. Mit Entsetzen bemerkte ich, wie sich das Doggenpenis zu kräftigen begann und auf Eddas zerrissene Hose zielte.
Da wußte ich, daß der Urköter wieder umtriebig wurde, diesmal in der Art eines Vergewaltigers. Energisch wollte ich diese Untat verhindern, versuchte einzugreifen. Ärgerlich ließ das Tier kurzzeitig von seinem Opfer ab und wandte sich sehr eifersüchtig dem Störer zu.
Aufgeschreckt durch den Lärm, eilte der Doggendompteur herbei und zog den Rüden, an seiner Rute packend, von meiner Frau. Einige Fußtritte und herrische Worte brachen bald den außergewöhnlichen Sexualtrieb dieses Tätertieres. Dieses stand nun breitläufig im Abseits einer Ecke und mußte wütend Zusehen, wie es mir meinerseits gelang, meine Frau aus dem Raum zu ziehen. Die Tür fiel ins Schloß.
Es gab noch einigen Trouble später mit dem Tier, das besonders gern Tische von allerlei Trinkporzellanen mit seinem wedelnden Schwänze leer fegte, um meiner Frau weiterhin zu imponieren. Das sollte wohl der besondere Ausdruck tiefer Zuneigung sein!
Fast fluchtartig verließen wir unsere Freunde, wohlwissend, daß sich der »wiederverfleischlichende Hund«, in welcher Maske auch immer, irgendwann wieder zeigen würde.
Einige Jahre später sollte eine besondere Reinkarnation, ein neues Wiederauftauchen dieses »Urköters« stattfinden, diesmal in Italien, am Bolsenaer See!
Im heißen Juli verfügten wir uns, um den Hunger zu stillen, in ein kleines romantisches Restaurant im dortigen Städtchen Bolsena. In der Patio räkelten wir uns auf harten Stühlen. Weinblätter, die vom Obergeschoß herunter rankten, spendeten Schatten, kitzelten aber auch unsere Nasenspitzen. Unentschlossen blätterten wir in der Speisekarte und mühten uns, ein Gericht herauszufinden, dessen kulinarische Zusammenstellung wir verstanden. Nachdem wir in unser Wörterbuch geschaut hatten, bestellten wir »piccione«. Sogleich wurden vom Wirt an Ort und Stelle mehreren dieser Friedensvögel, leider recht kriegerisch, die Köpfchen umgedreht. Schon flogen die Federn unter seinen flinken Händen! Die gerupfte und ausgenommene bratfertige Ware wurde in die dunkle Küche gereicht und dort im Andenken an Lukullus so aufbereitet, daß der sich rasch ausbreitende Duft unsere Speicheldrüsen reichlich anregte.
Die Fleischdüfte zogen bald durch die enge Gasse und lockten anderes hungriges Getier herbei. Dann der große Augenblick! Die Parade der Teller. Auf ihnen wohlgefüllte Piccione und Salate, mit all den mediterranen Zutaten und Gewürzen und wir begannen genüßlich, die Knochen zu benagen. Bald stapelten sich um unsere Teller Täubchenreste zuhauf. Unsere Gier entspannte sich; da bemerkten wir einen Gast zu unseren Füßen, einen Köter der besonderen Art. Für Karl Marx wäre er der Inbegriff eines proletarischen Tiers gewesen.
Zögerlich, dauernd zum Sprunge bereit, vermeintlichen Schlägen ausweichend, nahm er in respektabler Entfernung zu meiner Schuhspitze Platz, schielende Schiefaugen beäugten uns andächtig. Ein durch Haarausfall stark gelichtetes Fell, übersät mit handgroßen blankgescheuerten Fehlstellen darin, überzog dieses Tier. Diesem armseligen Köter gelang es nicht einmal mehr, das Fell richtig zu sträuben, zu wenig war ihm davon geblieben. Seine Lefzen waren zerfleddert, einige wichtige Zähne schienen zu fehlen; Geifer träufelte aus den Zahnlücken auf den Boden. Ach, dieser traurige mitleiderregende Dauerblick, der sich auf uns richtete. Der war nicht zu ertragen, und schon flogen ihm die Knochenreste zu. Erschrocken sprang er auf, um einem vermeintlichen Stein auszuweichen. Aber da lag der Knochen vor ihm, duftete begehrlich. Auf krummen Beinen humpelte dieses mittelgroße Tier dann doch noch auf die ihm zugeworfene Beute zu.
Alle Rassenmerkmale zwischen Boxer und Windhund, Dackel, Bernhardiner und Pinscher waren in diesem Hund zu einer kruden Mischung vereinigt. Die Vorderläufe in Front bildeten ein schönes rundes O, die Hinterläufe waren dagegen proportional zu lang geraten; dazu kam eine verwachsene Pfote, die seine Laufgeschwindigkeit arg einschränkte. Einen räudigen Restschwanz verbarg er devot zwischen den Beinen. Von edlem Körperbau keine Spur bei diesem Tier, dessen Wirbelsäule sich so abenteuerlich durchbog, daß der an ihr daran aufgehängte Bauch in Schwierigkeiten geriet, beim Überschreiten von Türschwellen oder anderen Erhebungen beschädigt zu werden. Ach, dieser streunende Straßenköter, der sich sein Futter aus den Abfällen klauen mußte, und das im Dauerkonflikt mit anderen Artgenossen! All das erregte unser Mitleid. Wir ertappten uns dabei, daß wir immer mehr schmackhafte Fleischreste an den Knochen hängen ließen, ehe wir sie ihm zuwarfen.
Das opulente Mahl, das wir ihm zukommen ließen, machte den Köter allmählich zutraulicher.
Edda und ich schauten uns vielsagend an — vielleicht hatten wir ähnliche Gedanken? Mit einem solch außergewöhnlichen Hund in den Berliner Straßen spazieren zu gehen — eine Rassehundeshow zu besuchen? Welche Pein für Schicki-Micki-Edelhunde samt ihrer Aus führen
Als wir uns in unseren Wagen setzen wollten, hatten wir einen Trabanten hinter uns, der unbedingt mit in unseren Wagen steigen wollte. Sanfte Bettelblicke, die er austeilte, sollten uns milde stimmen, und beinahe wäre es ihm gelungen, dem vierbeinigen Schlawiner, wenn mich nicht für einen kurzen Augenblick sein böser, haßerfüllter Blick getroffen hätte. Das gab mir zu denken! Dieser kurze, heftige Blick aus den roten Augen. Da wußte ich, wer diesmal wieder in dieser hinterhältigen Maske aufgetaucht war.
Wie ein Luchs aufzupassen, dazu bin ich weiterhin verdammt, und meine Hundeneurose bleibt mir erhalten.