Unerbittlich geblieben in Sachen Menschenrechte
Sieghard Pohl — ein „ungehorsamer Maler“
Bernd Juds, Publizist und Journalist, Leipzig, 1991
In der „Heldenstadt“ Leipzig gab es jetzt eine provokatorische Vernissage in der Galerie „Augen-Blick“: die Ausstellung eines „Rückkehrers“, der vor Jahrzehnten in den Westen verdrängt wurde — und dessen Schicksal geradezu exemplarisch ist für jene aufrechtgehenden Humanisten, die die „Faust der Klasse“ besonders zu spüren bekamen. Sie standen im Schatten von Künstlern wie Sitte, Tübke und Heisig, waren oft nur Insidern der zahlenschwachen Ost-„Dissi“-Szene bekannt — wie dieser Maler und Graphiker Sieghard Pohl. Bekannt wurde er vielen erst durch jene vielbeachtete Buchdokumentation „Die ungehorsamen Maler der DDR“, die er (zusammen mit seiner Frau Edda) 1979 im Westberliner Oberbaumverlag veröffentlichte. Pohl, Jahrgang 1925, gebürtig aus Breslau, absolvierte sein Studium in einer „humanistischen Nische“ der Leipziger „Malerschmiede“, bei den Professores Elisabeth Voigt und Hans Schulze (wo auch Tübke studierte) am Institut für Kunsterziehung — und wurde Kunsterzieher. Schon seine ersten Blätter zeigen die (für die spätere „Leipziger Schule“ typische) Flucht in die engagierte Metaphorik: Titel wie „Die Glorie des Septimius Severus“ oder die — zum Ungarnaufstand gemalte — „Ungarische Pietä“ machten das Regime hellhörig. Zunächst wurden seine Bilder in Kollektivausstellungen abgehängt, eine Zeichnung zum Thema Republikflucht erregte Anstoß. Pohl protestierte, wurde aber wegen „Fehlens des parteilichen Standpunkts“ und wegen „falschen Realismus“ abgewiesen Auch die — christlich orientierte — Leipziger Galerie „Wort und Werk“ wagte eine Einladung, weigerte sich dann jedoch, die Bilder des Eingeladenen aufzuhängen. Trickreicher ging die traditionsreiche Leipziger Galerie Engewald vor: hier — wo man schon zur Nazizeit die Arbeiten Verfemter wie Dix, Kokoschka, Grosz und Hegenbarth heimlich vertrieben hatte — wurde Pohl „etwas außerhalb der sozialistischen Gesetzlichkeit“ vorgestellt. Während der Ausstellung standen seine Bilder seitenverkehrt unter den tolerierten Exponaten an der Galeriewand — wer wollte, konnte sie umdrehen und zur Kenntnis nehmen: eine häufig praktizierte Methode. Als der junge Künstler — Anfang der 60er Jahre — auf Umwegen ins Land artistischer Sehnsüchte, nach Italien, reiste, schlug die Stasi zu: Pohl wurde zu 22 Monaten Haft wegen „illegaler Auslandsreise“ verurteilt. Er war Zeuge zahlreicher Häftlingsmißhandlungen in der Leipziger Haftanstalt. Nach der Entlassung verarbeitete er auch diese Erfahrungen, die erschütternden Bilder erregten Aufmerksamkeit im Bekanntenkreis, Spitzel kamen in sein kleines Wohnatelier in der Frankstraße. Er wird denunziert und zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt, die er in Waldheim verbringt. Ein großer Teil seiner Werke wird konfisziert. Nach seiner Haftentlassung (Pohl: „Das war ein Freikauf gegen einen Waggon voll Orangen zu „Weihnachten 1965″) wurde er nach West-Berlin abgeschoben. Auch hier blieb er unerbittlich in Sachen Menschenrechte. Im Kreise anderer Ost-„Exilanten“ entstanden zeitkritische Graphiken, Temperabilder und montierte Objekte. Mancherorts stieß er auf Unverständnis, man packte ihn oberflächlich-eilig in die Kalte-Krieger-Kiste, nicht zur Kenntnis nehmend, daß er im Grunde das aufarbeitete, was „Amnesty International“ (der er einzelne Graphiken gewidmet hat) weltweit bekämpft: Menschenrechtsverletzungen, Welthunger, Militarismus, totalitäre Regimes, die Welt der Wölfe. Er illustriert, mit Häftlings-Blick, Wolfgang Borcherts „Hundeblume“, zeichnet eine „leidende Kassandra“, den gefesselten „Prometheus“, malt in Acryl und Öl das Zuchthaus Waldheim als riesige Galeere, Zellen-Interieurs — und immer wieder Ikarus-Motive. Seine „Helden“: Krüppel, Gefolterte, ein „Putschistengeneral“ dubiose Kämpfer-Heroen aus der Antike, und West-Berlins Kunst-Schickeria ignorierte den zudringlichen Eindringling als „Entspannungsfeind“. Im November des Wendejahres 89 zog es Pohl „ins schöpferische Chaos“ am Brandenburger Tor. Er stellte er einen Einreiseantrag, der wurde — wie auch bei Biermann und anderen — abgelehnt. „Da habe ich mich mit einem Transparent an die Mauer gestellt und für die Einreise der Ausgegrenzten demonstriert — dann klappte es, Anfang Dezember, mit der Einreise, und ich habe in Leipzig an einer Demonstration teilgenommen und Freunde wiedergesehen — dort, wo mein Elend begann.“ Ist der Künstler — nun, nach seiner Ausstellung in Leipzig — vollkommener? Er, der jetzt auch mit eigener Erzählprosa an die Öffentlichkeit getreten ist und dort wiederum abrechnet mit Menschenrechtsverletzern, Kriegs- und Nachkriegs-Totalitarismus — in satirisch-beißender Form?
BERND JUDS