5. 2002, Dr. Roland R. Richter

G E G E N DEN S T R O Mrrichter
Dr. Roland R. Richter, zur
AUSSTELLUNG in der LEIPZIGER STADTBIBLIOTHEK: ROGER LOEWIG – SIEGHARD POHL
12.12.2002 bis 15.03.2003

Es ist jetzt reichlich 11 Jahre her, daß ich hier in Leipzig, ganz in der Nähe, in der (längst nicht mehr existierenden) Galerie „Augenblick“ und noch in Gegenwart Sieghard Pohls, eine sehr eindrucksvolle Werkschau des zwar um 9 Jahre älteren, mich aber wie andere Altersgenossen an Vitalität und geistiger Frische stets weit übertreffenden Studien- und Malerfreundes eröffnen konnte.

Nun, nach mehr als einem Dezennium bietet sich uns wieder eine gute Gelegenheit, weitere, für den einen oder anderen vielleicht auch ganz neue Einblicke in sein vielseitiges Lebenswerk zu gewinnen und damit der Weltsicht dieses interessanten Künstlers insgesamt näherzukommen.

Wenn ich nun erneut (kurzfristig!) gebeten wurde, ein paar einführende Worte zur Ausstellungeröffnung zu sagen, erwarten Sie bitte nicht von mir, daß ich Ihnen zum ausgestellten Werk Beschreibungen oder gar fertige Interpretationen liefere, die – um ein Wort des Enfant terrible der US-amerikanischen Kunstkritik Susan Sontag zu nutzen – eh‘ bloß „ unser Empfindungsvermögen vergiften“ (s.Susan Sontag,Geist als Leidenschaft- ausgewählte Essays, Kiepenheuer, S.9).

Vertrauen Sie lieber also Ihren eigenen forschenden Gedanken und vor allem Ihrem Augensinn, um dem besonderen Anliegen dieses facettenreichen Bildermachers auf die Spur zu kommen, als auf manche Weisheit sogenannter Experten in Sachen Kunst zu warten.

Die gibt es natürlich, auch zum Werk von Sieghard Pohl, so z.B. von Günter Feist, von Hernry Schumann oder von Rolf Otto Karnahl, etwa in dessen stilkritschen Überlegungen zu S.P. als früher Protagonist der „Leipziger Schule“.
Auch über die bewegte Vita des Sieghard Pohl als regimekritscher Geist ist bereits in den Medien, besonders um die Wendezeit herum, viel gesagt
worden, wenn inzwischen wohl auch etliches davon wieder in Vergessenheit geraten sein dürfte.

Nein, die heutige Ausstellungseröffnung ist für mich vielmehr wiederum Anlaß, etwas zur Person zu sagen, sozusagen aus ganz persönlicher Sicht. Und ich kann mir vorstellen, daß dabei ein Blick zurück auf gemeinsam erlebte Zeit , auf den gemeinsamen Anfang, hier beim Studium an unserer alma mater lipsiensis, durchaus hilfreich sein könnte, um etwas von der Pohlschen Formenwelt, und von seinen gedanklichen Intentionen besser zu begreifen, der einen oder anderen ihrer Eigenheiten näher zu kommen, ohne sie letztlich damit ganz erklären zu können oder zu wollen.

Dabei ist allerdings von Belang, daran zu erinnern – und jetzt muß ich doch auf Aussagen von Fachleuten zurückgreifen – „daß die DDR“ – ich zitiere aus „Kunstkombinat DDR von G.Feist und E.Gillen – „praktisch mit der Stunde ihrer Gründung von außen her ein Kunstmodell übergestülpt bekam, das ihren eigenen Bedingungen und traditionell reichen Möglichkleiten in wesentlichen Teilen widersprach….schon ab 1948, verstärkt aber seit 1951 (Studienbeginn von S.P.!), sah sich die Künstlerschaft in der DDR äußerst autoritären Forderungen gegenüber.
Zu jener Zeit, Ausgangspunkt für vieles Spätere, sollte sie alle Beziehungen zur Kunst des 20.Jahrhunderts…..abbrechen und stilistisch etwa bei Repin oder dem späten Menzel neu anfangen
“.

Genau dies war die Zeit unseres gemeinsamen Studiums am damaligen Institut für Kunsterziehung der Universität Leipzig, einem Institut, das unter Leitung seines Gründers Prof. Hans Schulze (Schüler von Alexander Kanoldt, Oskar Moll und Otto Müller und zudem – wie Pohl – von Breslau herkommend) für die damaligen Verhältnisse ganz ungewöhnlichen Freiraum der künstlerischen Lehre bot. Auch Prof. Elisabeth Voigt, bei Carl Hofer ausgebildet und Meisterschülerin der Käthe Kollwitz, hatte hier ihren hochgeachteten Platz, ganz im Gegensatz zu den Anfeindungen, denen sie an der von Magritz und Massloff dominierten Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst ausgesetzt war.

In solch vergleichsweise liberalem Klima und gewissermaßen innerhalb jener Enklave gelang es, wenigstens die schlimmsten dogmatischen Verabsolutierungen und Borniertheiten zu kompensieren, die sich gerade für die Kunst, und auch sonst als so verhängnisvoll erweisen sollten. Aber Pohl wäre nicht Pohl gewesen, wenn er nicht schon damals – selbst in jenem „Kunstghetto“ – für Irritationen und Aufsehen gesorgt hätte. Eine grüne Wasserleiche, ein sich krümmender Clochard, die Inszenierung einer Notschlachtung … alles shocking in der für unsere Begriffe heilen l`art pour l`art-welt. Immer, so jedenfalls schien es, war es das Absonderliche, Abstruse, Skurril-Komische, das ihn auf unwiderstehliche Weise geradezu magisch anzog.
Wer ihn näher kannte, der ahnte, nein der wußte, daß dies alles nicht bloße Sensationslüsternheit war, sondern vielmehr mit seinem ausgeprägten Spürsinn für sozialen Mißstand jeder Art, für Ungerechtigkeit zumal zu tun hatte.
So, als habe er gespürt, was sich jenseits der rückwärtigen Institutsmauern abspielte, wo – wie wir erst heute wissen – per Genickschuß Todesurteile noch bis 1981 vollstreckt wurden, setzte sich Sieghard Pohl künstlerisch wieder und wieder mit der Gewalttätigkeit der Herrschenden auseinander, sei es die von links (Stalin, Ulbricht) wie gleichermaßen späterhin die von rechts (Franco, Pinochet und Konsorten).

Und mit der offensiven drastisch-sarkastischen Art, mit der er die zumeist verschwiegenen, weil unbequemen Wahrheiten schon damals unverblümt beim Namen zu nennen pflegte, machte er später, als der Schutzraum des Kunstinstituts verlassen war, bald mehr auf sich aufmerksam, als ihm lieb sein konnte. In seinem Horror vor jeglicher duckmäuserischer Angepaßtheit, devoter Kriecherei und Heuchelei konnte er es – mitunter zum Leidwesen seiner engsten und nicht selten ängstlichen Freunde – kaum lassen, recht lauthals wider den Stachel zu löcken. Noch heute höre ich mich besorgt zu M. rufen: Mach das Fenster zu, der Pohl kommt!

Aber: ein „Hetzer“– so die infame Unterstellung der Anklageschrift des 1.Strafsenats vom Leipziger Bezirksgericht im Sommer 1964, mit der man ihn „Im Namen des Volkes“(!) zu zwei Jahren Freiheitsentzug verurteilte – ein Hetzer, das war er gewiß nicht. All seine, wenn auch vor Temperament sprühenden und mit Engagement vorgebrachten Plädoyers für Menschenrecht und – würde gründeten in aller Regel auf analytischem Verstand und schlossen nie das sachliche Argument aus.

Das gilt auch für seine Bilder, wenngleich eine schier überbordende kafkaeske Phantasie die zugrunde liegenden Sachverhalte und Wahrheiten höchst verfremdet und zugleich zugespitzt scharf wie schonungslos zu erkennen gab. Gefälligkeit und Glätte war seine Sache nicht. Und so ist’s geblieben: Kunst als Refugium, gar Autonomie der Moderne im Verständnis Adornos, das sind Haltungen, mit denen er nie etwas anzufangen wußte. Irgendwie schien ihn wohl immer die alte Illusion zu beflügeln, man könne auch mit Kunst, wie schon die Kollwitz hoffte, ein Gutteil notwendiger Aufklärung leisten, wo doch die Menschen – wie einst Brecht resignierend vermerkte – aus „Katastrophen ebensowenig lernen wie die Versuchskarnickel über die Biologie“ (zitiert nach Hans Mohr: Über die Bedeutung der Naturwissenschaften für die Kultur unserer Zeit. In: Nova acta Leopoldina, Nr.2O9 Bd.37/2, Halle 1971,S.1)

So was konnte gar nicht gut gehen. Ein notorischer Unruhestifter wie Pohl hatte keine Chance. „… es (ließ) sich nichts verbergen, in unsrem Land (war) Ordnung groß wie bei den sieben Zwergen„, sang Wolf Biermann, und als die Mauer schließlich stand, schlugen die Häscher zu, zum ersten Mal, der Aufmüpfige saß in der Falle. Nach überstandener Verwahrzeit folgte das Berufsverbot als Kunsterzieher mit reichlich Zeit, das in jener „Menschenveredlungsanstalt“ Erlebte, besser gesagt Durchlittene, geistig zu verarbeiten, in provokanten Bildern, versteht sich, Bilder, die an Schärfe und bitterer Ironie weiß Gott nichts zu wünschen lassen und die in ihrer zuweilen prononcierten Antiästhetik bis an die Schmerzgrenze gehen. Der Straftatbestand der Hetze war im übrigen für das hohe Gericht allein damit erfüllt, daß der Angeklagte diese „Machwerke“ in seiner Wohnung „verbreitet“, will heißen für jeden sichtbar aufgehängt hatte, und es bedurfte nur eines schäbigen Denunzianten, um ihn dieses „Staatsverbrechens“ zu überführen und wie einen gewöhnlichen Kriminellen erneut für Jahre hinter Gitter zu bringen. Später dann hat man ihn – wie man inzwischen weiß – für Apfelsinen verkauft und abgeschoben.

Die lange Zwangspause in unseren freundschaftlichen Beziehungen hat uns dennoch nicht entfremdet. Aus dem einstigen Ossi wurde kein Wessi, sondern – wie er in einem instruktiven TV- Filmporträt selbst fand – ein Wossi. Auf die im genau vor 11 Jahren gesendeten Film gestellte Frage, ob er denn ein Wossi bleiben wolle, gab er bezeichnend zur Antwort: „Ich werd’s nicht bleiben können….., bald werden wir alle Weltbürger sein und in 10 Jahren wird sich dieses Ost-West-Problem ohnehin im Nebel aufgelöst haben, und auch die Mauern in den Köpfen, wie zuvor schon längst die geschleiften, bald verschwunden sein.

Hier war unser Utopist, der S.P. insgeheim immer noch sein mochte, trotz all seiner negativen Erfahrungen, wohl doch zu optimistisch:
Sie existieren noch immer, diese Grenzen, gespeist von üblem Klischeedenken wie unübersehbarem sozialen Gefälle! Bis zuletzt hatte S.P. engagiert versucht, zur Überwindung solch fataler Denkstrukturen beizutragen. Aber dies schien eben um keinen Deut leichter als ehedem das verzweifelte Anrennen gegen die Betonkopfriege des alten Apparates mit ihren ideologischen Barrieren.
Daß Sieghard Pohl übrigens – angesichts eigener bitterer Erlebnisse als persona non grata – dies bar jeden Rache-und Haßgefühls gegenüber seinen einstigen Peinigern tat, nötigt mir noch heute Respekt und Bewunderung ab. Wie er mir überhaupt in vielem ein Vorbild geblieben ist: in all seinem leidenschaftlichen Eintreten für eine menschen- und kunstfreundliche Welt, für Toleranz und Offenheit gegenüber Andersdenkenden, und nicht zuletzt in seiner notorischen, Zeit und Stunde vergessenden Streitlust, wohlgemerkt stets im Sinne von Aufklärung und Wahrheitssuche praktiziert, ohne die auch sein künstlerisches Werk nicht denkbar wäre.
Mir jedenfalls fehlt er mir sehr!

Dr. Roland R. Richter, Leipzig
Rede zur Vernissage am 12.12.2002 in der Leipziger Stadtbibliothek