Ein „ungehorsamer Maler“ der DDR
Sieghard Pohl zeigt Bilder in der Leipziger Galerie „Augenblick“
Bernd Juds, Publizist und Journalist, Leipzig, 1991 für die Potsdamer Zeitung
In der „Wende-Metropole“ Leipzig gibt es in diesen Tagen eine ungewöhnliche Ausstellung: die Galerie „Augen-Blick“ in der Beethovenstraße zeigt einen Querschnitt durch das Gesamt-Oeuvre des Ex-Leipzigers Sieghard Pohl, der 1965 aus dem DDR-Zuchthaus Waldheim in die Bundesrepublik entlassen wurde. Pohl, Jahrgang 1925, gehört zu den „Quermalern“ der Ulbricht-Zeit.“ Sein Buch „Die ungehorsamen Maler der DDR“ erschien 1979 im West-Berliner Oberbaum-Verlag – ein Standardwerk für Kenner der oppositionellen Kunstszene Ost.
Des Künstlers Background ist rasch skizziert: Soldat in den letzten Kämpfen an der Oder – 1945, Verwundung. Bald Kunststudium in Leipziger Malerschmiede, aus der so verschiedene Berühmtheiten wie Staatsmaler Heisig, Tübke und der Metaphoriker Wolfgang Mattheuer hervorgingen. Während Heisig (dessen Kriegs- und Nachkriegsbiographie der von Pohl bis ins Detail gleicht) den leichten Weg des Staats-Laureaten ging, wählte Pohl den Aufrechten Gang, wurde zunächst Kunsterzieher, malte und stichelte gegen den Strich: „staatsfeindliche Bilder entstanden – wie die Politbüro-Karikatur „Spucknapf des Volkes“ und das Knast-Bild „In der Menschenveredlungsanstalt“. Erste Hafterfahrüng brachte ihm die Verurteilung wegen seiner „illegalen Auslandsreisen“ (nach Italien) kurz vor dem Mauerbau, 1963 verurteilte ihn das Leipziger Bezirksgericht als „ideologischen Diverganten“, zu zwei Jahren Zuchthaus. „Danach wurde ich freigekauft“, berichtet der junggebliebene Mitsechziger, und zwar gegen eine vorweihnachtliche Lieferung westlicher Orangen, 1965″.
In West-Berlin, seinem neuen Domizil, blieb er unerbittlich in Sachen Menschenrechte und Totalitarismus-Kritik. Im Kreise anderer Ost-Exilanten – darunter Gil Schlesinger, Roger Loewig, Witold Wirpsza und Wolf Deinert – entstanden neue zeitkritische Grafiken und montierte Objekte. Mancherorts stieß er auf Unverständnis, man packte ihn -den Antimilitaristen und Sohn eines Sozialdemokraten – oberflächlich-eilig in die Kalte-Krieger-Kiste. Die Rehabilitierung in der DDR kam erst nach Toresschluß: Pohl wurde 1990 zur Dresdner Ausstellung der „Ausgebürgerten“ eingeladen; das DFF-Ost-Fernsehen und das (angeblich) gewendete Zentralorgan „Neues Deutschland“ begleiteten ihn beim Besuch seiner Scherge- und Haftstätten von damals. Und jetzt, in der Leipziger Beethovenstraße, im „Musikviertel“ neben dem alten Reichsgericht, diese Gesamtschau: hier, justament, in dieser Straße, drei Häuserblocks weiter, begann des Künstlers Stasi-Haft! Ein fast idealer Ort zum Nach-Denken der Historie – allerdings läßt man den Gast – hintenrum – aus Kreisen der „alten“ Kunstszene wissen, daß man ihn auch heute als „Störer“ begreift, der „nur das Gestern aufwühlen“ wolle. Und er wühlt auf – „für alle, die denen mein Werk galt, die Geschich¬te ähnlich erlebt haben“: Graphiken (viele in der Gefängniszelle angefertigt), manches hinter antikisierenden Metaphern versteckt: griechische Helden, eine leidende Kassandra, Prometheus als Prototyp. Früh hat Pohl Borcherts „Hundeblume“ illustriert – mit „hautnahen“ Knast-Holzschnitten, es gibt viele Gefangene, auch Gefolterte – ein Bild ist „Amnesty International gewidmet“. Kriegserfahrungen in der Graphik: Krüppel, Generale im Ordens-Dekor – und, zu mahnenden Objekten montiert, „Schießscheiben“ und „Feldzeichen“. Letztere, übermannshoch in den Raum .gebaut, bestehen aus handfesten Fundgegenständen: Drähte von der Mauer, Militärblech, staatliche Siegel und Grenzschilder. Darunter ist auch jenes Emailschild des brandenburgischen Provinzbahnhofs „Podelzig“ , unter dem (Beweis die Kugeleinschläge) der 20jährige Maler 1945 verwundet wurde.
Nichts ist gefällig, grelles Chromoxydgrün und Rot auf dem Tempera-Großformaten. Da rauscht das Zuchthaus Waldheim vorbei, Ikarus stürzt ab „beim Versuch, eine Grenze zu überfliegen“ (1987), Odysseus macht den „Versuch, Ost- und Weststromboli“ wiederzuvereinigen. Alle Graphiken sind mit äußerster Akribie gestaltet, haben ihre bittere Ästhetik. Ästhetik aber ist dem Künstler nie fremd gewesen: eine Unzahl von Reiseskizzen hat er geschaffen, Aquarelle und Feder darunter, viele Kinderbuchillustrationen, Wandkunst in Schulen.
„Das eher Kulinarische wird er dem Publikum in ruhigeren Zeiten präsentieren“, mußmaßte der Leipziger Kunstwissenschaftler und Maler Roland Richter, nachdem er in einer ernsten Eröffnungsrede den Aufrührer und „langjährigen Freund“ in der „Heldenstadt“ an der Pleiße begrüßt hatte.
Bernd Juds